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Berliner Seiten
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.03.2001, S. BS6


Verorte mich, ich bin ein Zeichen
Grau ist alle Theorie, aber die Kunst braucht sie, und Andrea Geyer weiß, wie sie anzuwenden ist

von NICOLAS SIEPEN

Die amerikanische Kunstzeitschrift "Oktober" warnt schon seit langem vor dem vermeintlich schlechten Einfluß der Kulturwissenschaften sowohl auf die Kunsttheorie als auch die Kunstproduktion selbst. Was man von hier aus als innerakademischen Streit unter amerikanischen Intellektuellen abtun könnte, ist in Wirklichkeit ein Symptom für die Veränderungen innerhalb der Wertesysteme des Kunstbetriebs. Die in der Vorbereitung befindliche "Documenta" läßt jetzt schon erkennen, daß der Trend, den die vorherige Show bestimmte, sich durchsetzt: Kunst ist ohne einen sie begleitenden und durchdringenden theoretischen Apparat kaum mehr vorstellbar. Allen Versuchen, ein der Kunst originäres Set an Praktiken und Bewertungskriterien zu verteidigen und die spezifischen Eigenschaften des "Werks" wieder in den Mittelpunkt zu stellen, haftet fast zwangsläufig etwas Vergebliches an.

Gerade im Bereich der bildenden Kunst sind Verflechtungen verschiedenster Diskurse und Praktiken, die von Urbanismus über Soziologie, Feminismus, Psychoanalyse, Medientheorie bis hin zu den berüchtigten Cultural und Gender Studies reichen, selbstverständlich geworden. Sie sind den Kunstwerken jedoch nicht nur äußerlich ablesbar. Vielmehr versucht ein Teil der internationalen Kunstproduzenten, diesen theoretischen Cross-over in den Arbeiten selbst unterzubringen.

Die in New York lebende Künstlerin Andrea Geyer kombiniert in ihren Rauminstallationen verschiedene Medien und Erkenntnismethoden in einem gemeinsamen Display. Anstatt die "Informationen" in einem Objekt zu konzentrieren, werden sie vor ihr fragmentiert und räumlich aufeinander bezogen. Die in der Galerie Paula Böttcher ausgestellte Installation "Information upon request", wählt als Ausgangspunkt eine klassische feministische Fragestellung, nämlich: Wie wird die Kategorie des "Weiblichen" gesellschaftlich hergestellt, durch welche Institutionen, Sprachen und kulturellen Praktiken entsteht ein geeignetes Milieu, in dem Frauen verortet werden und sich selbst verorten?

Als Hintergrund für diese Frage verwendet die Künstlerin ein 1920 in New York gegründetes Appartementhaus für arbeitende Frauen. Seit hat sie in dieser und in anderen Institutionen Recherchen angestellt und Informationen zusammengetragen, die sie zu fiktiven Texten verarbeitet, die mit ihrem dokumentarischen Wert spielen. Um sie aus der Linearität, die der geschriebenen Sprache zu eigen ist, herauszuholen, hängen die Texte als große Fotografien an der Wand. Das macht sie einerseits zu Metazeichen für Informationen, stellt aber darüber hinaus auch eine Verbindung zu den großen Farbfotografien her, die signifikante Details des Interieurs der unterschiedlichen Einrichtungen zeigen.

Auch hier wird mit der suggestiven Authentizität von dokumentarischen Schnappschüssen gearbeitet. Sie zeigen die Frauen in ihrer Umgebung, inmitten der Zeichen, die sie vermeintlich repräsentieren. Die entspannte Intimität der Personen in den für sie konstruierten Räumen ist jedoch Teil einer präzisen Inszenierung der Künstlerin. Es sind Freundinnen, die für die Kamera posieren und sich bewußt als körperliche Zeichen unter architektonischen Zeichen verwenden lassen. Ähnlich wie in der zeitgenössischen Modefotografie, in der bestimmte räumliche Codierungen und Life Style Codes mit der Kleidung zu ästhetischen Mustern synthetisiert werden, mit denen man sie identifizieren soll, produzieren die Bilder in der Installation einen Überschuß, der sie aus dem Alltäglichen heraushebt. Sie tendieren dazu, Ikonen einer räumlichen Anordnung zu werden, die durch ihre geschlechtsspezifische Ausrichtung konnotiert ist.

So wie das Foto eines Bücherregals durch die Auswahl des Sujets eine Referenz zu einem bestimmten Wissen herstellt, das, auch ohne Kenntnis des genauen Inhalts, etwas über die Funktionsweise des Ortes aussagt, sind zwei Lippenstifte auf einer Nachtkommode klare Hinweise auf einen bestimmten Umgang mit Körpern. Durch die Kombination der Stilleben mit den Porträts wird eine aus den Cultural Studies vertraute Methode der gesellschaftlichen Herleitung kultureller Formen auf einer ästhetischen Ebene fixiert.

Es scheint der Künstlerin weniger darum zu gehen, nachvollziehbare theoretische Aussagen zu treffen, als vielmehr ein Milieu zu inszenieren, in dem die Wirkungen der Zeichen in ihrer Konstruiertheit spürbar werden. Man bewegt sich als Betrachter quasi in den Informationen, wie man es vielleicht von einem Messestand oder einem Naturkundemuseum gewohnt ist. Gleichzeitig soll jedoch eine kritische Distanz zu den Informationen aufgebaut werden, da sie genug Hinweise enthalten, wie unsere Wahrnehmung durch sie strukturiert wird.

Dazu paßt auch der graue Teppich in der Galerie. Die in ihn eingelassenen Diagramme und Wörter verweisen nicht nur auf die Grundrisse der untersuchten Orte, sondern legen dem Betrachter bestimmte Blickwinkel und Einstellungen nahe, die ihn als konstitutiven Teil der Inszenierung ausweisen. Diesen Vorgang könnte man als eine spezifische Leistung der aktuellen Kunst werten.


Galerie Paula Böttcher, Kleine Hamburger Straße 15, Berlin-Mitte, Mi.- Fr. 14-19 Uhr, Sa. 13-18 Uhr, bis 28. März.


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